Nahe am Abgrund
Liebe Freunde und Verwandten,
in diesen Tagen entdeckt man auf den Wirtschaftsseiten in den Tageszeitungen ein um das andere mal Berichte über die Auswirkungen der Bankenkrise, welche sich zu einer Wirtschaftskrise in weiten Teilen der Welt gemausert hat. Nun liest man zumeist diese Artikel und sie kommen einem irgendwie abstrakt vor. Große Banken, so hört man, seien nahezu bankrott und sollen nun durch einen groß angelegten Rettungsplan wieder in das Reich der Lebenden zurückgeholt werden. Da wird von Milliarden gesprochen und man kann sich dabei nie so richtig vorstellen das irgendwann wirklich kein Geld mehr aus dem Automaten kommen könnte. Wie denn auch - man hat ja nicht einmal eine Vorstellung davon wie es dort hinein kommt. Kurse fallen, riesige Unternehmen stehen vor dem Aus, schlechte Stimmung in der Wirtschaft: Also eigentlich alles wie immer. Klar bekommt man als Kleinverdiener mit das die Milch teurer wir und das Gemüse....aber immerhin auch, dass das Heizöl und der Sprit wieder ein wenig günstiger geworden ist.
Das alles sieht hier wirklich komplett anders aus. Als wir Ende August hier ankamen, schlugen wir unsere Zelte in einem (zum damaligen Zeitpunkt) der reichsten Länder der Welt auf. Jeder der uns aus Island berichtete erzählte von einem enormen Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung, dem verzweifelten Bemühen der Einzelhändler an Arbeitskräfte zu gelangen - Kurzum: von den blühenden Landschaften die noch niemals ein Mensch zuvor gesehen hatte. Und ich denke das war auch nicht übertrieben. Dieses Land befand sich seit Jahrzehnten in einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung der in diesem Oktober jäh gebremst wurde. Nein, der Aufschwung wurde nicht gebremst, er wurde eliminiert. Sowohl die Regierung als auch die Banken, Arbeitgeber und -Nehmer verfielen von jetzt auf Gleich in eine apokalyptische Stimmung. Von außen betrachtet zuerst unverständlich erklärt sich jedoch vieles, wenn man die Geschichte dieses Landes betrachtet. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war Island eine unbedeutende kleine Fischernation im Nirgendwo zwischen Europa und Amerika. Doch der Fisch konnte auf Grund der neuen und schnelleren Möglichkeiten nach Europa und in die USA exportiert werden und auf einmal erwies sich die geographische Lage als durchaus Vorteilhaft. Durch den Export erwirtschaftete Devisen in Fremdwährungen wurden sogleich in den Aufbau einer eigen Wirtschaft, jenseits der Fischerei, investiert. Zudem gesegnet mit einem Überangebot an natürlicher und kostengünstiger Energieressourcen fand der Aufstieg kein Ende. Bis zum Oktober 2008!
Das die Isländische Krone stark an den Dollar gekoppelt ist und durch dessen Wertverlust mit in den Abgrund gesogen wurde ist nur die halbe Wahrheit, oder eine Halbwahrheit. Vielmehr trugen die Isländer selbst erheblich zu ihrem Schicksal bei und bauten in den Jahren der Glückseligkeit eine Kreditblase auf, die nun geplatzt ist. Es ist und war hier sehr üblich das nahezu jeder erwerbsfähige Isländer zwei Jobs hatte um sich seinen überaus hohen Lebensstandard zu finanzieren. Das Geld was mit den beiden Jobs verdient wurde, wurde postwendend in neue, große amerikanische und deutsche Geländwagen, in schicke Kleidung und teure Technik investiert. Bezahlt wurde das natürlich nicht, sondern durch Kredite finanziert. Ich habe von Wirtschaft wenig Ahnung, aber man kann es sich ja leicht vorstellen: Wenn sich jeder nur Geld leiht, ohne das wirklich welches real da ist, dann geht irgendwann der Bank das Geld aus. Und das ist passiert. Die Leute konnten teilweise am Geldautomaten tagelang kein Geld mehr abholen, die Kunden in den Geschäften und den Restaurants blieben weg und die ersten Leute verloren ihre Arbeitsplätze. War aber dann statt den zwei Jobs nur noch einer vorhanden, war es nahezu unmöglich bestehende Kredite an die Bank zurückzuzahlen - denn erspartes war ja nicht da. Ein echter Teufelskreislauf. Die Größe des Landes verstärke zudem noch die Krise. In einem Land, in dem gerade einmal 300.000 Einwohner leben, fällt es natürlich schnell auf wenn in der direkten Umgebung zahlreiche Leute ihren Arbeitsplatz verlieren. Schließt ein großer Elektronikmarkt ist das Stadtgespräch - und eine Katastrophe zugleich. Denn 50 Arbeitslose mehr, von vielleicht 180.000 Erwerbstätigen, sind nicht gerade wenig. Was heißt das jetzt konkret, was heißt das für uns?
Wenn man durch die Straßen hier in Reykjavík läuft spürt man hautnah die schlechte Stimmung. Entweder man hat nur den Eindruck das mehr alkoholisierte Menschen auf den Straßen unterwegs sind, oder es sind wirklich mehr. Oder beides. Die Arbeitslosigkeit steigt rapide an - 20% werden erwartet. Einige Leute zünden auf großen Parkplätzen ihre Geländewagen an, um Geld von der Versicherung zu kassieren. Die Arbeitsämter: Vor 2 Monaten noch nahezu beschäftigungslos, heute bis oben hin gefüllt. Der bei uns im Haus lebende Belgier, als Sportlehrer tätig, berichtete von einer enorm ansteigenden Selbstmordrate. Das betrifft zumeist vorwiegend Auswandere aus Osteuropa, die ihre Jobs verloren, die Miete nicht mehr zahlen konnten und sich auch kein Flugticket für den Weg nach hause mehr leisten können - das ist eine Insel! Es wird allerdings versucht diese Fakten aus den Medien herauszuhalten, um eine größere Panik zu verhindern. Wobei das Island-eigene Mediensystem selber stark angegriffen ist. So hat der größte Privatsender Islands allen seinen Mitarbeitern zum Monatsende hin gekündigt.
Ja das ist die Situation und sie ist ungefähr genauso schlecht wie ich sie gerade beschrieben habe. Die Frage ist, wie es weiter geht!? Schaffen es die Banken, sich zu stabilisieren? Kann durch staatliche Maßnahmen ein weiteres ansteigen der Arbeitslosigkeit verhindert werden? Findet vielleicht auch ein Umdenken - Bezahlen statt Finanzieren - in den Köpfen der Bewohner statt? Es sei zu hoffen, denn wenn nicht ist Island in einem Jahr wieder dort angelangt, wo es zu Beginn des 20. Jahrhunderts einmal war.
Wir fahren dieses Wochenende, von Freitag bis Montag, jedenfalls erst einmal in den Nord-Westen des Landes, nach Snaefellsness. Dies ist ein riesiger Nationalpark welcher einen wunderschönen Gletscher umschließt. Ich hab gehört, dieser soll noch nicht allzu schwer in der Krise sein....
Liebe Grüße,
Stefan
in diesen Tagen entdeckt man auf den Wirtschaftsseiten in den Tageszeitungen ein um das andere mal Berichte über die Auswirkungen der Bankenkrise, welche sich zu einer Wirtschaftskrise in weiten Teilen der Welt gemausert hat. Nun liest man zumeist diese Artikel und sie kommen einem irgendwie abstrakt vor. Große Banken, so hört man, seien nahezu bankrott und sollen nun durch einen groß angelegten Rettungsplan wieder in das Reich der Lebenden zurückgeholt werden. Da wird von Milliarden gesprochen und man kann sich dabei nie so richtig vorstellen das irgendwann wirklich kein Geld mehr aus dem Automaten kommen könnte. Wie denn auch - man hat ja nicht einmal eine Vorstellung davon wie es dort hinein kommt. Kurse fallen, riesige Unternehmen stehen vor dem Aus, schlechte Stimmung in der Wirtschaft: Also eigentlich alles wie immer. Klar bekommt man als Kleinverdiener mit das die Milch teurer wir und das Gemüse....aber immerhin auch, dass das Heizöl und der Sprit wieder ein wenig günstiger geworden ist.
Das alles sieht hier wirklich komplett anders aus. Als wir Ende August hier ankamen, schlugen wir unsere Zelte in einem (zum damaligen Zeitpunkt) der reichsten Länder der Welt auf. Jeder der uns aus Island berichtete erzählte von einem enormen Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung, dem verzweifelten Bemühen der Einzelhändler an Arbeitskräfte zu gelangen - Kurzum: von den blühenden Landschaften die noch niemals ein Mensch zuvor gesehen hatte. Und ich denke das war auch nicht übertrieben. Dieses Land befand sich seit Jahrzehnten in einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung der in diesem Oktober jäh gebremst wurde. Nein, der Aufschwung wurde nicht gebremst, er wurde eliminiert. Sowohl die Regierung als auch die Banken, Arbeitgeber und -Nehmer verfielen von jetzt auf Gleich in eine apokalyptische Stimmung. Von außen betrachtet zuerst unverständlich erklärt sich jedoch vieles, wenn man die Geschichte dieses Landes betrachtet. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war Island eine unbedeutende kleine Fischernation im Nirgendwo zwischen Europa und Amerika. Doch der Fisch konnte auf Grund der neuen und schnelleren Möglichkeiten nach Europa und in die USA exportiert werden und auf einmal erwies sich die geographische Lage als durchaus Vorteilhaft. Durch den Export erwirtschaftete Devisen in Fremdwährungen wurden sogleich in den Aufbau einer eigen Wirtschaft, jenseits der Fischerei, investiert. Zudem gesegnet mit einem Überangebot an natürlicher und kostengünstiger Energieressourcen fand der Aufstieg kein Ende. Bis zum Oktober 2008!
Das die Isländische Krone stark an den Dollar gekoppelt ist und durch dessen Wertverlust mit in den Abgrund gesogen wurde ist nur die halbe Wahrheit, oder eine Halbwahrheit. Vielmehr trugen die Isländer selbst erheblich zu ihrem Schicksal bei und bauten in den Jahren der Glückseligkeit eine Kreditblase auf, die nun geplatzt ist. Es ist und war hier sehr üblich das nahezu jeder erwerbsfähige Isländer zwei Jobs hatte um sich seinen überaus hohen Lebensstandard zu finanzieren. Das Geld was mit den beiden Jobs verdient wurde, wurde postwendend in neue, große amerikanische und deutsche Geländwagen, in schicke Kleidung und teure Technik investiert. Bezahlt wurde das natürlich nicht, sondern durch Kredite finanziert. Ich habe von Wirtschaft wenig Ahnung, aber man kann es sich ja leicht vorstellen: Wenn sich jeder nur Geld leiht, ohne das wirklich welches real da ist, dann geht irgendwann der Bank das Geld aus. Und das ist passiert. Die Leute konnten teilweise am Geldautomaten tagelang kein Geld mehr abholen, die Kunden in den Geschäften und den Restaurants blieben weg und die ersten Leute verloren ihre Arbeitsplätze. War aber dann statt den zwei Jobs nur noch einer vorhanden, war es nahezu unmöglich bestehende Kredite an die Bank zurückzuzahlen - denn erspartes war ja nicht da. Ein echter Teufelskreislauf. Die Größe des Landes verstärke zudem noch die Krise. In einem Land, in dem gerade einmal 300.000 Einwohner leben, fällt es natürlich schnell auf wenn in der direkten Umgebung zahlreiche Leute ihren Arbeitsplatz verlieren. Schließt ein großer Elektronikmarkt ist das Stadtgespräch - und eine Katastrophe zugleich. Denn 50 Arbeitslose mehr, von vielleicht 180.000 Erwerbstätigen, sind nicht gerade wenig. Was heißt das jetzt konkret, was heißt das für uns?
Wenn man durch die Straßen hier in Reykjavík läuft spürt man hautnah die schlechte Stimmung. Entweder man hat nur den Eindruck das mehr alkoholisierte Menschen auf den Straßen unterwegs sind, oder es sind wirklich mehr. Oder beides. Die Arbeitslosigkeit steigt rapide an - 20% werden erwartet. Einige Leute zünden auf großen Parkplätzen ihre Geländewagen an, um Geld von der Versicherung zu kassieren. Die Arbeitsämter: Vor 2 Monaten noch nahezu beschäftigungslos, heute bis oben hin gefüllt. Der bei uns im Haus lebende Belgier, als Sportlehrer tätig, berichtete von einer enorm ansteigenden Selbstmordrate. Das betrifft zumeist vorwiegend Auswandere aus Osteuropa, die ihre Jobs verloren, die Miete nicht mehr zahlen konnten und sich auch kein Flugticket für den Weg nach hause mehr leisten können - das ist eine Insel! Es wird allerdings versucht diese Fakten aus den Medien herauszuhalten, um eine größere Panik zu verhindern. Wobei das Island-eigene Mediensystem selber stark angegriffen ist. So hat der größte Privatsender Islands allen seinen Mitarbeitern zum Monatsende hin gekündigt.
Ja das ist die Situation und sie ist ungefähr genauso schlecht wie ich sie gerade beschrieben habe. Die Frage ist, wie es weiter geht!? Schaffen es die Banken, sich zu stabilisieren? Kann durch staatliche Maßnahmen ein weiteres ansteigen der Arbeitslosigkeit verhindert werden? Findet vielleicht auch ein Umdenken - Bezahlen statt Finanzieren - in den Köpfen der Bewohner statt? Es sei zu hoffen, denn wenn nicht ist Island in einem Jahr wieder dort angelangt, wo es zu Beginn des 20. Jahrhunderts einmal war.
Wir fahren dieses Wochenende, von Freitag bis Montag, jedenfalls erst einmal in den Nord-Westen des Landes, nach Snaefellsness. Dies ist ein riesiger Nationalpark welcher einen wunderschönen Gletscher umschließt. Ich hab gehört, dieser soll noch nicht allzu schwer in der Krise sein....
Liebe Grüße,
Stefan
Vogtisson - 3. Nov, 15:53