Unterwegs im ärmsten Land der Welt

Tja liebe Leute, so schnell kann es anscheinend gehen. Vor meiner Abreise nach Island war ich mir noch bewusst, dass jetzt eine neue Zeit anbrechen wird. Die deutschen Bierpreise werden nur noch eine schöne Erinnerung- und Currywurst, Döner und Schawarma wohl auch nicht mehr zum Schnäppchenpreis zu haben sein. Diese Vorstellungen wurden dann nach der Ankunft auch aufs schärfste bestätigt und leider noch übertroffen. Na ja, ihr könnte es euch ja ungefähr ausmahlen. Das Bier im Supermarkt ist für wirklich unverschämte 225 Kronen zu haben und für das selbige in der Kneipe sind dann noch mal 400 Kronen Aufschlag fällig. Ausschlaggebend für den Austauschstudenten aus einem Euro-Land ist aber natürlich der Wechselkurs, der dann den realen Preis des kühlen Blonden (und natürlich auch von anderen lebenswichtigen Gütern) bestimmt. Und da kommen jetzt die Vereinigten Staaten von Amerika ins Spiel. Die Banken in diesem schönen freien Land haben bei der Kreditvergabe leider ein wenig zu frei agiert und haben damit den schönen starken Dollar ins Verderben gestürzt. Da der Isländer an sich sowieso immer mit mindestens einem Auge aufs große Nachbarland über den Teich schielt hat er sich natürlich diese Währung als Referenz für die eigenen “isländischen Kronen“ ausgesucht. Und da beginnt das Desaster. Mit dem Fall des Dollars ist auch die isländische Krone mit abgeschmiert und versucht zur Zeit in Sachen Wertverlust die Nachbarwährung aus den Staaten sogar noch zu übertrumpfen. Im Moment auf jeden Fall mit Erfolg! Bekam man Anfang des letzten Jahres gerade einmal 80 Kronen für einen schönen Silberling aus dem Euroland so waren es bei meiner Ankunft hier auf der Insel bereits 120. In den letzten Tagen begann dann die Katastrophe: Innerhalb von 72 Stunden ist die Krone derart abgerauscht, dass die Diagramme, welche den Kurs anzeigen, nach oben erweitert werden mussten. Wobei wir wieder bei dem Bier wären. In meiner Lieblingskneipe hier in Reykjavik, bezahlt man für ein 0,5-Liter gezapftes 550 Kronen. Bei meinem ersten Besuch nach der Ankunft musste ich also 4,58€ für dieses isotonische Kaltgetränk auf den Tisch blättern. Heute ist der Kurs bei der Europäischen Zentralbank bei 1:265. Wenn ich mich nachher also dort in die Kneipe setze, zahl ich für das gleiche Bier nur noch 2,07€. Für den Touristen aus dem Euroland sind das natürlich Zahlenspiele die Spaß machen, für die isländische Wirtschaft jedoch der Super-Gau. Die Nachrichten überschlagen sich mit Schreckens-Kundgebungen: Schließung der isländischen Staatsbank, Staatsbankrott, etc. – für ein Land das sich über Jahrzehnte an der florierenden Wirtschaft erfreute – und das ist das groteske - auch immer noch erfreut sind das schockierende Entwicklungen. Man hat irgendwie das Gefühl, dass dieses schöne Land ein wenig in eine apokalyptische Stimmung verfallen ist. Aber was heißt das jetzt für mich/uns? Erst einmal natürlich überwiegend positives. Das Preisniveau der Güter des periodischen und episodischen Bedarfs haben sich Deutschland angeglichen und liegen vielfach inzwischen darunter. Man kann im Moment eigentlich nur eines falsch machen. Geld auf einem isländischen Konto zu horten. Aber da ich sowieso nicht allzu viel davon habe und das bisschen sich eigentlich auf meinem Konto im Spreewald ganz wohl fühlt, bin ich im Moment relativ weit davon entfernt ein größeres Opfer dieser Wirtschaftskrise zu werden. Prost!

Ansonsten war die letzte Woche eine ausgesprochen schöne. Angefangen hat diese mit unserem Umzug aus der Industrie-Vorstadthölle in die schöne Altstadt von Reykjavik. Am Dienstag bezogen wir nun endlich unser neues Heim und unsere endgültige Unterkunft für die nächsten Monate. Zusammen mit uns beiden leben noch weitere sechs Bewohner in diesem Haus und bei der Zusammenstellung der Belegschaft könnte man meinen, die Europäische Union hat dieses Domizil als Testfeld für das Zusammenleben unterschiedlicher EU-Nationen entwickelt. Da ist Allen, ein 44 jähriger Schotte welcher isländisch studiert und für uns alle so was wie der gefühlte Vater unseres Big-Brother Hauses ist. Alex ist ein Tscheche wie er im Buche steht. Am Anfang ziemlich unnahbar, voller Zynismus aber dennoch irgendwie herzlich – zumindest dann wenn man zu ihm vorgedrungen ist. Lee kommt aus Irland und ist ein bisschen das Haus-Baby. Mit seinen 21 Jahren lebt er noch zu Hause bei Mama und nutzt die beiden Erasmus-Semester dazu um zu lernen, wie man den Abwasch von Essensresten befreit und das man nach dem Toilettengang die Spülung benutzen muss, um größere Rauchentwicklungen zu vermeiden. Alberto unserer Spanier ist der Herzensbrecher. Sieht man ihn Abends bei einer Tanzveranstaltung so hat er immer eine ganze Horde attraktiver Frauen um sich gescharrt, welche er mit seinem spärlichen Englischkenntnissen, seinen langen Haaren und braunen Augen bezirzt. Wahrscheinlichkeitsrechnungsliebhaber dürfte es bei der Bevölkerungsanzahl unseres Landes nicht verwundern, dass wir natürlich nicht die einzigen Deutschen hier im Haus sind. Und um die Sache auch noch auf die Spitze zu treiben, heißt unser Landsmann natürlich auch noch Stefan, was ja im Geburtsjahr 1984 wiederum auch sehr wahrscheinlich ist. Stefan kommt aus Kiel und ist ein echter Waldschrat. Immer in der Natur unterwegs, nicht allzu sozial kompatibel, aber auf seine Zivilisations-ablehnende Weise trotzdem ganz nett.
Man kann also mit Fug und Recht behaupten das wir in nem ganz schönen Freak-Laden gelandet sind. Wobei man sich dann natürlich auch fragt wie man da selber so reinpasst!? Da wir trotz äußerlicher Unversehrtheit wahrscheinlich auch ne kleine Schacke haben, ertragen wir das ganze hier mit großem Amüsement und ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass wir uns hier sehr wohl fühlen können. Ein Laden mit 10 halbwüchsigen Engländern wäre schlimmer gewesen.
Am Donnerstag Nachmittag habe ich dann Steffen vom Busbahnhof abgeholt und auf dem Weg zu seinem Hotel spürte ich bereits, dass sich was verändert. Der Regen welcher einem ansonsten meistens mit Lichtgeschwindigkeit in die Fresse (Entschuldigung!) schlägt wirkte plötzlich auf einmal so schwerelos und veränderte die Farbe – der Regen war weiß! Es schneite, am 02. Oktober! Als wir uns am Abend mit Steffen in der Kneipe trafen, hatte der draußen tobende Schneesturm bereits ganz Reykjavik mit einer ziemlich dicken und glänzenden Schneedecke überzogen. Es war irgendwie ganz unwirklich und zugleich wunderschön. Am nächsten Tag haben Steffen und ich uns dann auf den Weg gemacht, den Gipfel des Esja zu besteigen. Ausgerüstet mit feinster Bergsteiger-Ausrüstung (Steffen mit Schiene dank Kreuzband-OP, Jeans und Turnschuhen) war der Weg nach oben natürlich auch nicht ganz unanstrengend bzw. ungefährlich. Die Steigung war durchaus beachtlich und auch die Schneewehen hatten es in sich. Teilweise versank man schon mal bis zur Hüfte im weißen Nass. Die Entschädigung erfolgte auf dem Gipfel. Ein wahninniger Blick auf Reykjavik und weite Teile Islands – blauer Himmel und wunderschöner Sonnenschein machten es möglich. (Überhaupt muss ich vermuten, dass Steffen wohl ein direkter Untergebener von Jörg Kachelmann sein muss um so ein Wetter zu organisieren. Als er nämlich am Sonntag Morgen den Flieger Richtung Berlin bestieg, quittierte dies der Wettergott mit einer gehörigen Salve aus Regen und Wind.) DSCN2795DSCN2801Der Freitag Abend wurde anschließend, nach einem Bad im Thermalbad, in einem English-Pub hier in der Nähe unseres Hauses verbracht. Das isländische Nachtleben zeigte sich von seiner besten Seite und nach einigen Mollen sanken wir gegen halb 5, vom Tag erschöpft, ins Bett um nur 3,5 Stunden wieder aufzustehen. Am Samstag stand die Golden-Circle-Tour auf dem Programm. Das Problem dabei war nur, dass ich auf Grund des vorigen Abends meine Fahrtüchtigkeit noch stark in Zweifel zog und so waren wir alle sehr froh, dass sich Stefan (der Waldschrat) bereit erklärte unseren Mietwagen zu fahren. Kerstin konnte sich auch aus ihrem Computer raus schneiden und so machten wir uns zu viert auf den Weg in die Natur. Der Golden-Circle ist eine Rundstrecke nördlich von Reykjavik, auf der man wirklich atemberaubende Natur-Schauspiele zu sehen bekommt. Unsere erste Station war Thingvellir (sprich Cingwetlir), ein Nationalpark in dem die Plattengrenze zwischen der Eurasischen und der Nordamerikanischen Platte liegt. Man kann sich nicht vorstellen wie beeindruckend es ist, diese Spalte zu sehen und die Kraft welche von ihr ausgeht zu spüren. Ich glaub man ist Nirgendwo näher an dem Ursprung unseres Planeten.CIMG2586 In dem besagten Nationalpark traf sich auch die erste Nationalversammlung Islands und 1946 wurde an dieser stelle die Unabhängige Republik Island ausgerufen. Weiter ging unsere Reise zu einem großen Wasser-Spritz-Ding. Ich schreibe das so, weil die Bezeichnung Geysir dafür nicht korrekt ist. Es verhält sich da ähnlich wie mit den Tempo-Taschentüchern. Der Geysir ist ein Eigenname – nur für einen ganz bestimmten. Und dieser Name wurde dann auf der ganzen Welt für diese eruptierende Spezies heißer Quellen verwendet. Der Eigentliche Geysir ist leider nur bis 1930 aktiv gewesen. Dann kamen ein paar bekloppte englische Touristen, haben Steine in ihn rein geworfen und seitdem verweigert er den Dienst. Sein legitimer Nachfolger ist der Strokkur, welcher 20-30m hohe Fontänen in den Himmel katapultiert. Ein Naturschauspiel von unglaublicher Faszination. CIMG2628Abgeschlossen wurde unser Ausflug mit einem Besuch des Gullfoss (Goldener Fall) Wasserfalls. Wir waren von dem Anblick so gefesselt und begeistert, dass es uns alle für einige Minuten die Sprache verschlagen hat und wir jeder für uns allein diesen Anblick in uns aufsogen. Man kann dies nicht erklären oder beschreiben und Fotos geben es auch nicht wirklich wieder – deswegen beschränke ich mich nur auf ein Wort: WAHNSINN!CIMG2656CIMG2648
Beeindruckt durch diese Erlebnisse schwebte ich seitdem über die Insel und komme erst so langsam wieder in Bodennähe. Aber die Weltuntergangsstimmung wird’s schon richten....

Grüße aus dem Armenhaus Europas
Stefan

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