Donnerstag, 22. Januar 2009

Ein Leben in Island - Teil 2

Ich bin wieder zurück - und was mache ich jetzt damit? Fast genau zwei Monate ist es her, seitdem ich den letzten Beitrag auf dieser Seite verfasst habe und in der Zwischenzeit ist so viel passiert. Ich habe die Vorweihnachtszeit hier erlebt, ich habe mich von lieben Menschen hier verabschieden müssen, ich habe viel Zeit auf Flughäfen verbracht, die Weihnachtsstimmung in Deutschland gesucht und nicht wiedergefunden, ein seltsam-schönes-trauriges Weihnachtsfest verbracht, die Nord-Iren und ihre Freundlichkeit kennengelernt, ein wunderschönes Sylvester in Coleraine verbracht, mir eine Kieferhöhlenentzündung zugefügt, im Zuge dessen einen wunderschönen Tag in der Notaufnahme in Berlin-Mahlsdorf verbracht, einen riesengroßen Abschied überstehen müssen - und dann, ja dann war ich wieder hier. In einem Land, dass mir inzwischen schon so vertraut ist, aber dem ich jetzt ganz anders begegne - und zwangsläufig muss, da geliebte Menschen nicht mehr hier sind. Um seinen eigenen Nahmen zu verhöhnen, hat mich dann Island auch gleich mit hochsommerlichen 8°C und einem tropischen Regenschauer empfangen. Nach dem ich also die circa 30°C Temperaturunterunterschied zu Deutschland einigermaßen verdaut hatte, schickte ich mich am 07. Januar an, mein Leben hier wieder aufzunehmen. Die erste Hürde bestand dabei darin, mich durch das ausgesprochen elektronische-, moderne-, intelligente-, verfluchte- und vor allem isländische Kurs-Einschreibungsprogramm zu quälen. Nach mehreren Stunden und vergeblichen Anrufen bei Bill Gates und Wolfgang Schäuble schaffte ich es dann doch noch mein Programm für das kommende Semester auszuwählen. Viele daheim-gebliebene stellen sich das gemeine Erasmus-Studentenleben ja eher als eine einzige riesengroße Party vor! - Das stimmt. Aber neben der doch relativ großen Anzahl gemeinschaftlicher Zusammenkünften der europäischen Spaßgesellschaft wird die universitäre Komponente eigentlich nicht allzu sehr vernachlässigt. Und damit ihr mal seht, dass ich auch hier in Island durchaus ernsthaft meine Universitäre Laufbahn verfolge, werde ich Euch im folgenden mal meinen Stundenplan etwas näher bringen. Ich werde dieses Semester vier Kurse besuchen und - auch wenn es im ersten Moment vielleicht nicht sofort erkennbar ist - jeder dieser Kurse repräsentiert dabei einen Teil meines Studiums. Der erste Kurs "Volcanology" beschäftigt sich mit den Vulkanisch-aktiven Regionen dieser Erde und vor allem natürlich mit den Vulkanen vor der Haustür. Der ortsansässige "Hekla" bricht eigentlich relativ zuverlässig alle 10 Jahre einmal aus. Dann hat sich im inneren wieder so viel Druck aufgebaut, das die darüber liegende dünne Gesteinsschicht die übermütige Lava nicht mehr aufhalten kann. Der Hekla ist im Moment sozusagen wieder hochschwanger und eigentlich schon längst überfällig. Ein Kaiserschnitt wird wohl nicht in Erwägung gezogen, aber die Chancen für eine geologische Niederkunft stehen für die Zeit meines Islandaufenthaltes gar nicht schlecht. Kurs Nummer 2 befindet sich thematisch im Bereich meines Studienschwerpunktes Antropogeographie, hört auf den Namen "Non-State-Actors" und beschäftigt sich mit jeglichen Formen von organisierten, nicht-staatlichen Netzwerk-Strukturen. Unsere Dozentin ist Britin und verwöhnt mich akkustisch mit feinstem Oxford-Englisch, was im Gegensatz zum eher Nuschel-artigem isländischen Englisch eine wahre wohltat ist. Auch optisch kann die Dame ihre britische Herkunft kaum verleugnen - denn sie sieht aus wie die ein-eiige Zwillingsschwester von Margret Thatcher. Nur netter.
Im Kurs "History of Iceland" wird die relativ kurze Besiedlungsgeschichte Islands untersucht. Island wurde nachweislich erst im 9. Jahrhundert durch Norwegische Fischer, Bauern und Händler besiedelt, welche auf der Flucht vor der norwegischen Monarchie - oder auch nur aus Entdecker-Drang - die lange Reise durch den eisigen Atlantik in Richtung Norden auf sich nahmen. Allerdings halte ich den Versuch, 1100 Jahre Besiedlung in 14 Wochen zu behandeln, für ein relativ kühnes Unterfangen. Wir müssen somit in einer Woche durch 80 Jahre Geschichte rauschen....mir als halber Geschichtswissenschaftler stellen sich da ja die Haare zu Berge! Ich könnte nun versuchen die Wahl meines letzten Kurses durch mein Nebenfach "Publizistik" zu rechtfertigen....das währe dann aber - wenn überhaupt - vielleicht nur ein viertel der Wahrheit. Im Kurs "Ipod - Technology of the self" beschäftigen wir uns allerdings nicht nur mit dem Produkt Ipod als solches, sondern vielmehr mit der psychologischen Komponente von Musik, den kritischen Medientheorien von Adorno und Benjamin sowie der Frage, ob technischer Fortschritt und Reproduzierbarkeit Fluch oder Segen für Kulturelle Güter wie Musik oder Film ist. Weiterhin werden die Marktstrategien eines Großkonzerns wie Apple analysiert. Schließlich scheinen die Werbe- und Produktstrategien bei dem ein- oder anderen von uns nicht ganz erfolglos gewesen zu sein.... ;-) ! Der Dozent unseres Kurses ist ein junger Amerikaner, der allerdings in Deutschland geboren wurde und in den USA seinen Doktor in Sozialwissenschaften und Germanistik gemacht hat. Die Diplomarbeit hat er übrigens über das Thema "alternative Musik" mit dem Schwerpunkt "Einstürzende Neubauten" geschrieben....was alles so als Wissenschaft durchgeht.... ;-) ! Ansonsten zeigt der Typ aber eindrucksvoll, dass innovative Lehrmethoden und wissenschaftliches Arbeiten kein Widerspruch sein muss. Vor Beginn des Unterrichts schlägt Mirko, so heißt der Vogel, erstmal mit jedem ein und erkundigt sich nach dem wehrten Wohlbefinden...auch wusste er bereits nach der ersten Woche jeden einzelnen Vornamen von uns! In dem Seminar werden dann die Theorien von Adorno und Benjamin auseinander genommen und auch schon mal anhand eines Musikvideos von Britney Spears oder Scooter analysiert. Nach der ersten Vorlesung habe ich ihn in unserer Kaffeeteria getroffen und ein Widerspruch war völlig zwecklos als er mich auf ein Mittagessen in unserer überteuerten Mensa eingeladen hat. Wir haben dann anderthalb Stunden über Musik, Sarah Palin, Isländisches Essen und Berlin geredet...ein netter Kerl.
Ihr seht also, die Wahl meiner Kurse war also völlig legitim und sie werden mir neben dem Spaß und dem Wissen auch natürlich was für meine Karriere bringen....oder so...!

Völlig Legitim, wenngleich nicht ganz legal, aber absolut verständlich sind die Proteste die inzwischen täglich in der Innenstadt von Reykjavík stattfinden. Waren es zum Ende des letzten Jahres noch einige einzelne die bereits direkt von der Krise betroffen waren, so breitet sich die Krise immer weiter und in alle vorstellbaren Berufsgruppen aus. Im August letzten Jahres konnte der kleine Inselstaat hier noch nahezu Vollbeschäftigung melden. Nach Anfang der Krise stieg die Arbeitslosenquote im November auf 0,8 Prozent und hat inzwischen eine historische Höchstmarke erreicht: 5,4%. Auch stellen in öffentlichen Einrichtungen (Krankenhäuser, etc.) werden zurückgefahren und so kommen die Demonstranten inzwischen aus allen gesellschaftlichen- und Berufsgruppen. Gestern und Vorgestern waren bis 3 Uhr Nachts circa 2000 Menschen auf den Straßen, die vor dem hiesigen Regierungsgebäude - dem Alþing - demonstrierten. Das sind immerhin 1,6% der Gesamtbevölkerung und wenn man das auf Deutschland umrechnet, währen das circa 1,4 Millionen Menschen die gleichzeitig marschieren würden. Allerdings wurde vor dem Regierungsgebäude nicht nur marschiert und in lauten Sprechchören der Rücktritt der Ministerpräsidenten Geir Haarde gefordert, sondern auch riesige Feuer vor dem Gebäude entzündet und die Glasfassade des Regierungsgebäude mit ungekochtem Rührei verziert. Damit das Saubermachen der Scheiben nicht so viel Arbeit macht, wurden diese anschließend mit steinigen Wurfgeschossen großzügiger Weise gleich zerstört. Quittiert wurde das durch die, sonst so friedliche, isländische Polizei mit dem Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken. Das Ergebnis waren zahlreiche verletzte und circa 20 Festnahmen.....das Krankenhaus und das Gefängnis von Reykjavík dürfte somit aus allen Nähten platzen...! Im Ergebnis waren es die schlimmsten Unruhen (vielleicht auch die ersten) seit dem Nato-Beitritt 1949. Es wird erwartet dass die Demonstrationen so lange weiter gehen, bis sich die Regierungskoalition für aufgelöst erklärt hat. Während ich das schreibe höre ich schon wieder Trommeln und Böller in der Ferne.....und ich wollte doch nur "ein bisschen Frieden"!

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Quelle: www.kurier.at

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Quelle: http://aftaka.org

Am Wochenende war ich übrigens bei einer Bad-Taste-Party und ich finde das ich das Motto der Party äußerst gut verinnerlicht hatte. Einige von Euch werden jetzt vielleicht einige Kleidungsstücke wiedererkennen die unter Umständen Kerstin zugerechnet werden könnten. Ihr habt Recht. Es sei aber gesagt, dass sich der schlechte Geschmack nicht durch die einzelnen Kleidungsstücke, sondern vielmehr durch die Kombination verschiedener Farben und Formen ergibt. Auch der männliche Körper der in den Knappen Kleidern steckt könnte eine Rolle spielen. Die Verantwortung für die Leggings, die kurze Hose, die Schuhe und mein Gesicht übernehme ich selbst! Aber seht selbst......

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Liebe Grüße aus Heiligendamm,

Stefan

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